Wenn Schilder den Weg weisen

Für heute hatten wir einen Ausflug geplant, auf den ich mich schon Jahre freute. Immer wieder wurde er verschoben, nie nahmen wir uns die Zeit, doch nun war es dann endlich so weit.

 

Eine Wanderung durch ein schönes Tal zu einer Alm. Vielen Erzählungen nach soll es dort wunderschön sein. Der Weg führt entlang eines Flusses, durch eine kleine Schlucht hindurch in ein herrliches kleines Hochplateau.

 

Und auch der Wettergott spielte mit, ein wunderschön golden leuchtender Herbsttag war angesagt. Perfekter hätte es gar nicht sein können für meinen Traum, diesen Weg zu gehen.

 

Voller Vorfreude brachen wir auf. Natürlich kannten wir die Route nicht genau und mussten uns an den Wegweisern orientieren. Aber wir kannten ja unser Ziel.

 

Gleich an der ersten Kreuzung stand ein Schild mit drei Pfeilen, jeweils in eine andere Richtung. Irgendwie spürte ich das es besser wäre unser Vorhaben zu ändern, den anderen Weg zu gehen auch wenn wir dessen Ende gar nicht kennen.

 

Aber wieso sollte ich darauf hören? Wir hatten uns diese Alm vorgenommen und so ignorierte ich mein Gefühl.

Doch dann, am Beginn der Schlucht – stand plötzlich dieses Schild, in grellem Rot, nicht zu übersehen

STOP! TODESGEFAHR durch Steinschlag!

  • Nicht Lebensgefahr, nein Todesgefahr

    also dem Schild nach lauert hier der Tod höchstpersönlich hinter der nächsten Kurve

  • Für mich ganz klar: STOP! keinen Schritt weiter.

Der Verstand bringt mich zum Stehenbleiben, sofort.

Da zögere ich nicht.

Ignoriere ich nicht.

Nehme ich es ernst.

 

Stop!

Und plötzlich war ich wieder mitten im Leben. Nicht nur das Stop brachte mich durcheinander, sondern auch das wir dann plötzlich kein Ziel mehr hatten. Wir irrten planlos umher, und irgendwann endete der Tag in einem Desaster, auf das ich nicht näher eingehen möchte.

Beim Zurückgehen blieb ich nochmals bei dem Wegweiser stehen, wo mein Inneres eigentlich schon ganz laut „Stop, andere Richtung“ schrie, ich aber nicht hinhören wollte.

 

Warum eigentlich? Hätte ich auf dieses Gefühl gehört und nicht erst dann reagiert als auch der Verstand „Nein“ gesagt hat, hätten wir uns viel Umweg erspart und nicht umdrehen und zurückgehen müssen.

 

Passiert dir das auch manchmal?

  • Du fühlst es, aber du willst es nicht wahrhaben, dein inneres „Stop“, dieses „Falsch, Dreh um, keinen Schritt weiter“

du hast dieses Ziel vor Augen, ganz klar, nur da willst du hin!

 

Und was ist, wenn du merkt du kannst dein Ziel nicht erreichen?

Ja, wie oft spüren wir es und wollen es aber nicht wahrhaben. Wir opfern uns auf für etwas das nichts mehr bringt, machen weiter, versuchen es auszuhalten, obwohl es schon lange nicht mehr geht. Egal ob für Freundschaften, Beziehungen, Arbeit, Familie, was auch immer. Jeder kennt sicher für sich so eine Geschichte.

 

Wir sind so auf das Ziel fixiert, dass wir das Rundherum gar nicht mehr wahrnehmen.

 

So wie auf unserer Wanderung. Bis zu diesem Schild.

 

Was würdest du machen?

Hast du einen Plan B oder irrst du umher?

Oder gehst du einfach zurück zu dieser Weggabelung und versuchst den anderen Weg ohne zu wissen wohin.

 

Wir haben uns letztendlich für den Weg ins Ungewisse entschieden.

 

Ende Oktober haben die Kühe unseren Hof verlassen. Für immer. Seit vielen Generationen wurden auf unseren Hof Kühe gehalten. Und nun sind sie weg. Ich glaube, es war eine unserer schwierigsten Entscheidungen bis jetzt und es ist uns verdammt schwer gefallen.

 

So wie der Stall leer ist, fühle ich mich nun auch. War jetzt alles umsonst?

Ohne Kühe fühlt man sich irgendwie nicht mehr als Bauer.

 

Wir hatten Träume.

Viele Träume ...Aber waren es wirklich unsere Träume oder nur die Erwartungen anderer, die wir letztendlich zu unser Vision gemacht haben?

 

Ich weiß es nicht, weil ich nicht hingehört habe.

 

Sicher war uns klar, dass wir mit den Großen sowieso nicht mehr mithalten können und noch dazu haben wir den Hof zu Bedinungen übernommen, die es nicht einfacher machen. Aber wir hatten ja diesen Traum und uns trotz aller Steine einen Weg gesucht. Unsere ganze Energie haben wir hineingesteckt. Wir haben uns durch die Bürokratie gekämpft, neue Ideen umgesetzt, immer noch mehr von uns  selbst investiert.

 

Wie oft waren wir unendlich erschöpft, hilflos, müde. Dinge die uns gut getan hätten, Unternehmungen die wir gerne machen wollten, waren immer wieder auf später verschoben worden.

 

Soviele kostbare Momente sind verloren gegangen, weil wir uns keine Zeit dafür genommen haben.

 

Ich wollte immer noch nicht hören, obwohl diese innere Stimme schon sehr laut geworden ist.

 

 Wir gingen weiter in diese Schlucht, irgnorierten jede Warnung.

 

Doch irgendwann sagt auch das Leben Stop, so nicht: ein Sturz, eine Verletzung mit Folgen - wenn auch nur in kleinem Ausmaß, aber trotzdem - und schon sieht alles anders aus. Die Arbeit lässt sich nicht mehr so machen wie man will. STOP - wie dieses Schild. Dieser Weg ist gesperrt, kein Weitergehen mehr möglich.

 

Und so geht es nicht nur um Kühe am Hof. Das allein macht das Landwirtschaft nicht aus. Landwirtschaft ist so viel mehr. Erst jetzt habe ich das Gefühl Bäuerin zu sein, anders als vorher. Wir haben Schafe und Ziegen, einen kleinen Acker, einen Bauerngarten, vorallem aber den wertvollen Bezug zur Natur.

 

Denn wenn wir im Laufschritt durchs Leben rasen, verlieren wir den Boden unter den Füssen.  Wir rennen einem Ziel hinterher, ohne links und rechts zu schauen, sehen nichts mehr ausser dieses Ende des Weges in der Hoffnung, dass dort das Glück auf uns wartet.

 

Aber nur wenn wir langsam gehen und auch immer wieder stehen bleiben, nur dann spüren wir dieses Fundament, diesen festen Boden unter uns. Wir können diese Verbundenheit mit der Natur und all ihren Facetten nur erleben, wenn wir im Hier und jetzt angekommen sind. Es sind die vielen kleinen Glücksmomente, die uns letztendlich mit Freude und Dankbarkeit erfüllen.

 

So wie sich die Natur im Jahreskreislauf ändert, so ändert sich auch der Weg. Es geht nicht um das WOHIN sondern um das WOFÜR. Schritt für Schritt. Der Weg selbst ist das Ziel.

 

Es ist ganz egal wo wir ankommen, Hauptsache wir hören auf unser Herz.

 

Anmerkung:

 Vor kurzem war eine Befragung der Bäuerinnen in einer Bauernzeitung. Angeblich passt für 30% der Bäuerinnen die Arbeitssituation, 43% der Bäuerinnen ist es manchmal zu viel, 16% oft zu viel und 2% sind dauerhaft überlastet.

Ich glaube das nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass viele dieses Stopschild nicht sehen wollen und es ignorieren. Sie gehen weiter in diese Schlucht, bis ihnen die Steine auf den Kopf fallen. Es hat nichts mit Überzeugung zu tun, wenn man glaubt es schaffen zu müssen.

Es ist auch nicht Erfüllung, wenn man bis in die Nacht mit Maschinen am Feld herumkurvt und sich das Rad noch mehr und noch schneller weiterdreht. Nein, das ist nicht der Sinn vom „Bauer sein“. Wenn man das glaubt, lügt man sich selber an. Es ist nichts anderes als falscher Stolz der daran hindert zuzugeben wie sehr man eigentlich schon dringend Hilfe braucht.